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Schilddrüsenpraxis Josefstadt

Schilddrüsenkarzinom

Verfasst von Dr. Georg Zettinig, Wien, 2004

Ursprünglich veröffentlicht auf www.nuklearmedizin.org

Einleitung

Die Inzidenz des Schilddrüsenkarzinoms hat in den letzten Jahren zugenommen. Schilddrüsenkrebs ist inzwischen in Österreich bereits der achthäufigste Tumor bei Frauen und der zwölfthäufigste Tumor bei Männern. Jedes Jahr erkrankt eine von 10.000 Österreicherinnen bzw. einer von 25.000 Österreichern neu an einem Schilddrüsenkarzinom.

Noch weitaus häufiger scheint das papilläre Mikrokarzinom vorzukommen, eine Frühform des papillären Schilddrüsenkarzinoms, das sich in Obduktionen bei bis zu 13 % der Österreicher findet. Diese Frühform des Schilddrüsenkarzinoms scheint allerdings nur selten klinisch in Erscheinung zu treten. Der zu beobachtende Anstieg verteilt sich weitgehend gleichmäßig auf beide Geschlechter, allerdings ist das Schilddrüsenkarzinom weiterhin vor allem ein Karzinom der Frau: Das Geschlechtsverhältnis weiblich:männlich beträgt ca. 2:1 zu Ungunsten der Frauen.

Obwohl die Inzidenz der Schilddrüsenkarzinome zunimmt, kommt es in den letzten Jahrzehnten zu einer kontinuierlichen Abnahme der Mortalität. Nur 0.8 % aller Krebs-Todesfälle entfallen in Österreich auf das Schilddrüsenkarzinom. Eine familiäre Häufung findet sich nur im Rahmen des familiären medullären Schilddrüsenkarzinoms, das auch als Teil einer multiplen endokrinen Neoplasie (MEN 2a oder MEN 2b) auftreten kann.

Ungefähr 95 % der Malignome der Schilddrüse sind primäre Karzinome. Nur selten finden sich Metastasen anderer Primärtumore (Nierenzellkarzinom, Mammakarzinom, Bronchuskarzinom) sowie nicht-epitheliale Tumore.

Die differenzierten Schilddrüsenkarzinome gehen von den Thyreozyten aus und werden in das papilläre und follikuläre Karzinom unterteilt. Sie haben eine ausgezeichnete Prognose. Die Zehn- bzw. Zwanzig-Jahre-Überlebensraten liegen bei Patienten mit papillärem Schilddrüsenkarzinom bei 96 % bzw. 95 %, beim follikullären Schilddrüsenkarzinom werden diese Überlebensraten mit 84 % bzw. 79 % angegeben. Das niedrig differenzierte insuläre Karzinom ist seltener und liegt in der Prognose zwischen dem differenzierten und dem undifferenzierten anaplastischen Karzinom, das sehr selten ist und eine äußerst schlechte Prognose hat. Eine Sonderstellung nimmt das medulläre Schilddrüsenkarzinom auf, das von den C-Zellen ausgeht.

Klinik und Verlauf

Nur selten findet sich eine lokale Beschwerdesymptomatik, da die meisten Schilddrüsenkarzinome in den niederen Tumorstadien T1 oder T2 diagnostiziert werden. Erst in höheren Tumorstadien treten Globusgefühl, Heiserkeit, eine obere Einschussstauung oder eine Hornersche Trias auf.

Kleine Knoten sind meist schlecht oder überhaupt nicht palpabel. Rasches Wachstum, insbesondere unter Levothyroxintherapie, das Auftreten von Lymphknotenschwellungen im Halsbereich, derbe bzw. schlecht verschiebliche Knoten können Hinweis auf ein Schilddrüsenkarzinom sein. Schnelles Wachstum innerhalb von Wochen ist verdächtig auf ein undifferenziertes Karzinom.

Diagnostik

Blutwerte

Immer wieder muss darauf hingewiesen werden, dass sich zum Zeitpunkt der Diagnosestellung meist eine euthyreote Stoffwechsellage findet. Nur beim medullären Schilddrüsenkarzinom, das von den C-Zellen ausgeht, lässt sich mittels einer Blutuntersuchung ein erhöhter Calcitoninspiegel nachweisen. Das von den Thyreozyten produzierte Thyreoglobulin hat in der Primärdiagnostik eines Schilddrüsenkarzinoms keinen Stellenwert, ist aber ein exzellenter Tumormarker in der Nachsorge thyreoidektomierter und radiojodablationierter Patienten.

Ultraschall

In der Schilddrüsensonografie sind echoarme Knoten mit irregulärer Begrenzung sowie einem fehlenden bzw. unregelmäßigen Halo und Mikroverkalkungen malignomsuspekt. In der Farbdopplersonografie ist der Blutfluss intranodulär hoch.

Schilddrüsenszintigrafie

Der Großteil aller Schilddrüsenkarzinome stellt sich als hypofunktioneller ("kalter") Knoten dar. In "heißen" Knoten sind Karzinome sehr selten.

Feinnadelpunktion

Die ultraschallgezielte Feinnadelpunktion hat einen hohen Stellenwert in der Frühdiagnose von Schilddrüsenkarzinomen. Bei Durchführung durch einen geübten Arzt und Beurteilung durch einen erfahrenen Zytopathologen ist die diagnostische Wertigkeit hoch, in diesen Fällen ist Sensitivität und Spezifität bezüglich der Differenzierung zwischen malignen und benignen Befunden bei 80-90 %.

Therapie

Die Primärbehandlung eines Schilddrüsenkarzinoms besteht immer in der adäquaten chirurgischen Resektion. Anschließend muss in den meisten Fällen eine Radiojodtherapie zur Restablation des verbleibenden Schilddrüsengewebes durchgeführt werden. Nur in wenigen Fällen ist zusätzlich eine externe Radiatio angezeigt. Bei in der interoperativen Schnellschnittdiagnostik gesicherten Malignität wird eine totale Thyreoidektomie und eine zentrale Halsdissektion durchgeführt. Bei positivem Lymphknotenbefund wird auf der betroffenen Seite eine funktionelle Halsdissektion angeschlossen. Bei negativer Schnellschnittdiagnostik und positiver endgültiger Histologie soll die komplettierende totale Thyreoidektomie zum frühesten Zeitpunkt (innerhalb von vier bis zehn Tagen nach dem Ersteingriff) durchgeführt werden.

Eine Sonderstellung nimmt das zufällig entdeckte unifokale papilläre Karzinom mit einem Durchmesser von maximal 10 mm und fehlenden Hinweisen auf eine Lymphknotenmetastasierung ein. Hier kann auf eine totale Thyreoidektomie und Lymphknotenresektion verzichtet werden.

Bei allen anderen papillären und follikulären Schilddrüsenkarzinomen ist nach der adäquaten chirurgischen Therapie eine Restablation mit Jod 131 erforderlich. Zwischen Thyreoidektomie und Radiojodtherapie darf kein Schilddrüsenhormonpräparat eingenommen werden, weiters ist eine absolute Jodkarenz erforderlich: keine braunen und orangen Desinfektionsmittel, keine jodhältigen Nahrungsergänzungsmittel, keine jodhältigen Röntgenkontrastmittel. Nach mehreren Wochen ist eine Hypothyreose mit TSH-Werten von mindestens 30 mU/l eingetreten, dann erfolgt im Rahmen eines stationären Aufenthaltes die Gabe einer Aktivität von 3.0-3.7 GBq (80-100 mC) Jod 131, um möglicherweise noch vorhandene maligne Tumorzellen sowie chirurgisch nicht fassbare benigne Schilddrüsenreste zu eliminieren. Damit wird ein nicht messbar niedriger Thyreoglobulinspiegel erreicht. Im nach der Therapie durchgeführten Jod-131-Ganzkörperszintigramm stellen sich eventuell noch vorhandene jodspeichernde Metastasen dar.

Nachsorge

Im Anschluss ist eine lebenslange Schilddrüsenhormontherapie erforderlich. Beim differenzierten Schilddrüsenkarzinom wird die Dosierung anfangs so gewählt, dass das basale TSH supprimiert ist und sich die Schilddrüsenhormone im Normalbereich befinden. Bei undifferenzierten und medullären Karzinomen ist eine Substitutionstherapie ausreichend (TSH-Spiegel im Normbereich).

Beim differenzierten Schilddrüsenkarzinom erfolgen anschließend lebenslang regelmäßige Bestimmungen des Thyreoglobulin (Tumormarker), der Schilddrüsenhormone sowie des TSH. Zusätzlich dazu werden regelmäßig sonografische Kontrollen der Schilddrüsenloge und der Halsweichteile durchgeführt. Sechs bis neun Monaten nach Radiojodtherapie erfolgt eine diagnostische Jod-131-Ganzkörperszintigrafie zur Dokumentation der kompletten Ablation und zum Ausschluss eventuell weiterer jodspeichernder Herde. Um eine adäquate Aussagekraft zu erreichen, sind für die Durchführung TSH-Spiegel von mindestens 30 mU/l erforderlich. Diese werden entweder durch drei- bis vierwöchiges Absetzen der Schilddrüsenhormontherapie oder durch intramuskuläre Injektion von je 0.9 mg rekombinantem TSH an zwei aufeinanderfolgenden Tagen erreicht. Damit können die Beschwerden der Schilddrüsenunterfunktion wie Müdigkeit, Kältegefühl, Gewichtszunahme, Verstopfung und Erhöhung der Blutfette vermieden werden.

Unter TSH-Stimulation ist auch die diagnostische Wertigkeit der Thyreoglobulinbestimmung höher. Die Nachsorgeuntersuchungen werden im ersten Jahr nach Radiojodtherapie alle drei Monate, in Folge routinemäßig alle sechs Monate durchgeführt. Nach fünf Jahren sind jährliche Untersuchungen ausreichend.

Davon abweichend ist die Nachsorge des medullären Schilddrüsenkarzinoms, wo der Tumormarker Calcitonin sowie das CEA im Vordergrund stehen. Ist das Calcitonin zwei Monate postoperativ nicht mehr nachweisbar, wird ein Pentagastrin-Stimulationstest durchgeführt. Ergibt dieser Test bei zwei aufeinanderfolgenden Nachsorgeuntersuchungen ein negatives Ergebnis, kann man von einer Rezidivfreiheit ausgehen. Ebenso wie beim differenzierten Schilddrüsenkarzinom werden regelmäßige Kontrollen der Schilddrüsenhormone sowie das TSH und eine Sonografie der Halsweichteile durchgeführt. Beim medullären Schilddrüsenkarzinom muss bei jedem Patienten einmalig eine molekulargenetetische Untersuchung durchgeführt werden, um die familiäre Form des medullären Schilddrüsenkarzinoms zu beweisen oder auszuschließen.

 

Tabelle 1 Einteilung der Schilddrüsenkarzinome

Differenziertes Schilddrüsenkarzinom (>90 %; trotz möglicher Spätrezidive ausgezeichnete Prognose):

Papilläres Karzinom 80 %

Follikulläres Karzinom 20 %

--

Medulläres Karzinom

Niedrig differenziertes insuläres Karzinom

Undifferenziertes anaplastisches Karzinom

 

Dieser Artikel wurde 2004 verfasst und entspricht dem Stand des Wissens zum Zeitpunkt der Veröffentlichung.

Literatur beim Verfasser.

Schilddrüsenpraxis Josefstadt - Univ. Doz. Dr. Georg Zettinig
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